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Lebendigkeit & Stadt

Lebendigkeit:
fast alle Menschen verwenden und verstehen diesen Begriff.
Trotzdem findet er kaum Anwendung in der Stadtplanung.
Ich denk schon länger darüber nach, was das konkret heißen könnte.
Eine Zwischenbilanz in meiner aktuellen Pressekolumne:


Wenige kennen die richtige Antwort darauf: Welches Bundesland wird bald die jüngste Bevölkerung haben und wächst am stärksten?

Es ist Wien. Fast alle Großstädte Europas boomen. Sie ziehen dank ihrer Universitäten und urbanen Kultur junge und erfindungsreiche Menschen an, ihnen folgen Unternehmen; die Stadt wächst und wird immer attraktiver.

Wird sie das wirklich? Vor allem jedoch: Welche Art von Stadt soll wachsen? Besonders begehrt sind die „alten“ Viertel in Wien, innerhalb des Gürtels, zunehmend auch außerhalb: wie Ottakring oder Rudolfsheim-Fünfhaus. Was „können“ diese Teile der Stadt, was offenbar so schwer in den Neubaugebieten auf der grünen Wiese gelingt? Die Beantwortung dieser Frage ist von elementarer Bedeutung, denn in den nächsten 20Jahren werden in Wien Wohnungen für mehr als 300.000 Menschen gebaut, quasi die zweitgrößte Stadt Österreichs innerhalb Wiens Stadtgrenzen.

Ein Wort, das in Städtebaudiskussionen oft zu kurz kommt, könnte der Schlüssel zur Beantwortung sein: Lebendigkeit! Das macht das Wien der Gründerzeit aus. Menschen bewegen sich auf der Straße, gehen einkaufen, treffen sich in Kaffeehäusern, im Sommer draußen – im „Schanigarten“.

Die meisten neu errichteten Stadtteile sind „tot“, auf den Straßen zwar Autos, aber kaum Menschen. Eingekauft wird im Einkaufszentrum, angereist wird im Auto. Warum ist das so? Hat vielleicht eine ganz kleine, scheinbar nebensächliche Norm gewaltige Auswirkungen? Das Gründerzeit-Wien wurde gebaut, bevor es die Stellplatzverpflichtung gab, jene Regelung, die jeder Wohnung einen Garagenplatz vorschreibt, meist unter dem Haus.

Die Konsequenz: Man fährt mit dem Lift in den Keller, setzt sich ins Auto – und ab ins Büro, zum Einkaufen oder ins Kino. Diese Regelung saugt die Menschen regelrecht von der Straße weg. Drum gibt's auch kaum Geschäfte in diesen Gebieten. Im Gründerzeit-Wien muss man auf die Straße. So bleibt das Herz der Stadt, der öffentliche Raum, lebendig. Wie wäre es mit folgenden drei schlichten Regeln für Wien:

1.) Keine Garagen unter den Häusern, sondern ein wenig entfernt, am besten weiter weg als das nächste öffentliche Verkehrsmittel.

2.) Kleine Parzellen statt riesiger Wohnsiedlungen.

3.) Verpflichtend hohe Erdgeschoßzonen.

Kleine Ursachen möglicherweise, aber gewaltige Auswirkungen: lebendige Städte statt toter öffentlichen Raum.
kayjay - 3. Dez, 10:16

Ich denke nicht das die Stellplatzverordnung der Grund des übel ist:
Meiner Meinung nach ist das grosse Problem, die gewollte Monotomie in den Bebauungsplänen und Widmungen.
Man muss wieder eine Funktionenvielfalt in den Bebauungspläne bringen, Wohnen, Arbeiten und Einkaufen muss wieder mehr vermischt werden.
DIe EG Zone wäre dafür natürlich sehr geeignet.
DIe Grösse von Supermärkte abhängig von der Einwohnerzahl in unmittelbarer Nähe definieren (ist in Tirol schon so)

Ikarus (Gast) - 3. Dez, 10:18

Monotonie und Autoverkehr gehören direkt zusammen. Wo viel Auto gefahren wird, gibt es Monotonie, und umgekehrt, wo viel Monotonie ist, wird viel Auto gefahren. Das Problem lässt sich also von zwei Seiten angreifen: 1. Monotonie reduzieren. 2. Autoverkehr reduzieren.
Ikarus (Gast) - 3. Dez, 10:16

Reichsgaragenordnung

Die als "Reichsgaragenordnung" eingeführte Verpflichtung zum Bau von Autoabstellplätzen direkt im (beim) Haus hat einen enormen Beitrag zur Zerstörung unserer Stadträume geleistet. Ein Umdenken findet erst langsam statt. Ich kenne Menschen (auch in Wien), die ihr Haus nie durch die Tür, sondern immer nur durch die Garageneinfahrt betreten (das Wort "betreten" passt hier nicht ganz).

Es sollte doch ganz klar sein, dass die Möglichkeit, sicher zu Fuß zu gehen und Rad zu fahren die Lebensqualität enorm steigert. Ich seh's bei Familien mit Kindern: die sagen, es sei (wegen der Autos) zu gefährlich, das Kind zu Fuß gehen zu lassen, und fahren es daher (im Auto) selbst zur Schule, und verschlimmern damit das Problem, über das sie sich beschweren. Da ist eine Trendwende nötig: in Ballungszentren muss der Fußgänger (und der Radfahrer) Vorrang haben. Das heißt: Gehwege statt Parkplätze. Geschwindigkeit des Autoverkehrs drastisch reduzieren (die Spitzengeschwindigkeit! - die Durchschnittsgeschwindigkeit ist eh schon minimal). Hat übrigens schon mal wer nachgerechnet, um wieviel länger eine durchscnittliche Autofahrt wird, wenn man die Spitzengeschwindigkeit auf 30 (oder 20) km/h beschränkt? Wohl nur unwesentlich - aber der Verkehrsfluss (Fußgänger, Radfahrer, Autos) wäre viel homogener.

Vieles kann man da von Kopenhagen lernen - das ist gewissermaßen das Radfahrerwunderland. Daher: Copenhagenize it!

Linktipp: http://www.copenhagenize.com/

martinm - 3. Dez, 18:46

Jawohl, Tempo 30 im Stadtgebiert, bin dafür!
Wolfgang (Gast) - 7. Dez, 09:11

auch wichtig: Straßenbahnen

Warum ist die Wiedner Hauptstraße so viel schöner, als die innere Favoritenstraße? Weil Leute, die mit der Straßenbahn fahren, das Viertel sehen, und wenn sie etwas sehen, was sie interessiert (z.B. ein Lokal), dann auch mal dort aussteigen. In der U-Bahn ist man reiner Transit. Drum gibts dort auch weniger interessantes.

Jetzt bin ich natürlich froh drüber, dass es die U-Bahn gibt, da ich so schneller in der Arbeit bin, aber die Straßenbahneinstellungen in Wien sind eine wahre Schande.

dieter (Gast) - 10. Dez, 22:45

Hervorragend und amüsant geschriebener Artikel zum Thema von Theodore Dalrymple im City Journal zum Einfluss Le Corbusiers auf die Architektur und seinem pathologischen, autistisch anmutenden Denken.

http://www.city-journal.org/2009/19_4_otbie-le-corbusier.html

cc - 11. Dez, 16:44

lieber Dieter

vielen Dank für das posten dieses Artikels.
Hab ich mit großem interesse gelesen

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