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Nein, wir kapitulieren nicht!

Polemisch, zugespitzt, "g`schmackig" zu lesen, zum Widerspruch einladend,
aber der Grund, warum ich diesen Artikel von Henryk M Broder empfehle, ist der Kern seiner Argumentation, die mich zum Nachdenken anregt.
Sind wir zu lax, die Grundwerte unserer Zivilisation zu verteidigen (wobei "verteidigen" nicht militärisch gemeint ist)?
Dort wo Menschenrechte mit Füssen getreten werden, Religion systematisch missbraucht wird, dieTrennung von Kirche und Staat nicht einmal im Ansatz gegeben ist, Frauen brutal unterdrückt werden, müssten wir nicht viel lauter, sichtbarere und konsequenter Position beziehen?
Gerade weil mir "diversity", die Akzeptanz unterschiedlicher Kulturen, Anschauungen so wichtig ist, gerade weil ich glaube, dass an den Schnittstellen des Unterschiedlichen Interessantes, Überraschenden entstehen kann, gerade deswegen muss viel klarer, und jedenfalls in der Argumention härter aufgetreten werden, wo diese Grenze überschritten wird.
Nein, wir dürfen nicht kapitulieren.
muesli - 17. Aug, 09:54



eine nette polemik, aber für spannender halte ich die diskussion, ob massenmord tatsächlich eine "strategie" ist, wie der spiegel-titel suggeriert, oder nicht vielleicht vielmehr eine taktik.

hinter dieser scheinbar semantischen unterscheidung könnte der schlüssel zur lösung des konflikts liegen, die immer nur über eine beschäftigung mit den ursachen führen kann.

maschi - 17. Aug, 10:08

Broder hat im Kern recht.

Ich kenne jede Menge Leute, die sich in ihrer "linken" Selbstwahrnehmung uneingeschränkt wohl fühlen und sich in dieser Selbstwahrnehmung daher auch bis zu einem gewissen Grad in Opposition zum "herrschenden System" fühlen. Kennzeichen der Linken war es dabei immer schon, die "ökonomischen Verhältnisse" über alles zu stellen, und damit etwas blind für alles andere zu werden.

Solche Menschen - und ich schätze viele von Ihnen ob ihrer Emotionalität sehr - sind im persönlichen Gespräch meist nicht bereit, einer Aussage zuzustimmen wie "In Österreich (in Europa..., in der "westlichen" Welt...) sind Menschenrechte und Demokratie in einem weitaus höheren Mass real verwirklicht als in der islamischen Welt (am afrikanischen Kontinent..., in grossen Teilen Asiens... jeweils austauschbar). Dass weitgehend demokratische Verhältnisse (wenn auch immer verbesserbar) zumindest bisher scheinbar nicht dazu führen, dass die ökonomischen Verhältnisse grundlegend umgeworfen werden, scheint dem "klassischen" Linken so unerträglich zu sein, dass er in Folge eben lieber das Vorhandensein weitgehend demokratischer Verhältnisse leugnet.

Es gibt sehr viele dieser Menschen in Europa, sie werden meiner Wahrnehmung nach mehr, und ich halte das für eine reale Gefahr. Menschen hingegen, die aus Überzeugung für die Werte der Aufklärung stehen, dabei trotz Kritik an ökonomischen Verhältnissen nicht bereit sind, das Kind (Demokratie, Menschenrechte etc) mit dem Bade ("Kapitalismus") auszuschütten, Menschen, die wissen, dass die Werte "Freiheit" und "Gleichheit" nicht beide vollständig verwirklichbar sind und sich daher bewusst sind, ein gewisses Mass an Ungleichheit schon aus prinzipiellen Gründen in Kauf nehmen zu müssen, solche Menschen werden weniger.

Und im Zuge dieses geistigen Erosionsprozesses werden wir tatsächlich laxer, die eigentlichen Grundwerte unserer Zivilisation zu verteidigen.

Was mir aber an Broder gar nicht gefällt, das ist seine "Wir hier und Ihr dort"-Rhetorik, denn das ist auch immer eine Vorbedingung für Krieg. Was es bräuchte, wäre zB ein Schulterschluss der Toleranten, die mit aller Klarheit für ihre Werte eintreten und diese gegenüber den Intoleranten verteidigen. Ein solcher Schulterschluss müsste demzufolge kulturübergreifend sein, denn Tolerante wie Intolerante gibt es hüben wie drüben, allerdings darf man an dieser Stelle wiederum nicht anstehen klar auszusprechen: Derzeit, am Beginn des 21.Jh., in durchaus krass unterschiedlichen Mengen.

Alex (Gast) - 17. Aug, 15:39

Es ist einmal wichtig folgende Betrachtung anzustellen:
"Dort wo Menschenrechte mit Füssen getreten werden" - z.B.: Abschiebungen aus Europa
"Religion systematisch missbraucht wird" - z.B.: Abtreibungsdebatte und Homosexualität in christlichen Landen
"dieTrennung von Kirche und Staat nicht einmal im Ansatz gegeben ist" - z.B.: G.W.Bush und die evangelikale Rechte in USA
"Frauen brutal unterdrückt werden" - z.B.: Frauen (v.a. Alleinerzieherinnen) verdienen strukturell weniger. Gewalt in Beziehungen nimmt wieder zu.

Man sieht, für alle diese Missstände, kann man auch in unserer Zivilisation Beispiele finden. Der Unterscheid ist ein gradueller. Und genau das ist das Problem. Genau das nimmt uns den Wind aus den Segeln, wenn wir gegen den Islam, besser gesagt Islamismus, und für unsere Zivilisation auftreten wollen.

Um dem Islamismus wirksam entgegentreten zu können, müssen wir zuerst unsere ideologischen und kulturellen Scheuklappen ablegen, und unser System genauso gründlich anzweifeln, wie das des Islam. Manipulation der Medien, Korruption, Zinsgeld, Verhaberung Wirtschaft und Politik, Dekadenz ist bei uns Gang und Gebe. Ein paar Fälle werden aufgedeckt, viele nicht. Bei uns ist unter dem Mäntelchen der Demokratie längst die Oligarchie Wirklichkeit. Oligarchie mit Augenmass zwar, damit es nicht zu gewaltsamen Eruptionen kommt, aber das Geld schafft an. Hier in diesem Weblog kann man es lesen, was die Konsequenzen sind und was unserer Gesellschaft zu schaffen macht. Altenbetreuung, Enegieverschwendung, Umgang mit Nutztieren, etc....

Das ist es was die radikalen Muslime sehen und uns als Schwäche attestieren. Und das leider zu Recht. Unsere Kultur, wenn man es schon so nennen will, ist dekadent geworden. Wir haben so viel erreicht, glauben wir, aber so recht wollen wir uns des Lebens nicht freuen. Konsum allein macht auch nicht glücklich, und irgendwie so dumpf im Magen spüren wir, dass wir mitschuldig sind am Elend der anderen. Halten wir uns einmal unsere Geschichte vor Augen. Die europäischen Lande, haben mit hemmungsloser Brutalität und ohne Pardon, in allen erreichbaren Ländern geraubt und geplündert haben, was das Zeug hält. Jetzt tun wir das zwar nicht mehr, aber die weltweite Wirtschaftsordnung steht immer noch auf dieser Basis. Und siehe WTO-Konferenz, wir tun auch nichts um daran etwas zu ändern. (natürlich sind daran die Anderen schuld)

Was Broder aber nicht schreibt, ist wie er denn, oder was denn, unserer Gesellschaft wieder die Kraft geben wird, gegen den Islam aufzutreten, besser gesagt, den Muslimen unsere Gesellschaftsordnung so schmackhaft zu machen, dass sie lieber versuchen werden, sie bei sich zu kopieren als uns zu vernichten. Er versucht zwar Lafontaine zu diskreditieren, der die Schwächen unseres Systems in deutschen Landen ausspricht, aber er hat keine einzige Alternative oder Strategie aufgezeigt, wie man denn das Problem lösen könnte.

Broder outet sich daher, meiner Meinung nach, als wenig hilfreicher "Clash of Civilizations"-Prophet, der versucht uns einzureden, dass wir alle von den bösen Muslimen geschlachtet werden, wenn wir nicht schon vorher offensiv gegen diese vorgehen.

Martin Winkler (Gast) - 18. Aug, 17:24

@Alex:
Ist unsere Gesellschaftsordnung nicht schmackhaft genug?

Immerhin kommen viele Leute zu "uns", die auf der Suche sind nach einem besseren Leben.
Es würde mich überraschen, wenn der Gottesstaat Sudan ein vergleichbares Einwanderungsthema
hätte wie zB Spanien (allerdings weiß ich das nicht).
"Wir" sind reich (nicht nur als Ergebnis der Ausbeutung, auch als Ergebnis unseres freien
Gesellschaftsmodells). Ganz Ostasien hat lange Zeit nur das Ziel verfolgt, dem Westen
nachzueifern, um ebenso reich zu werden -
das scheint mir durchaus ein Argument zu sein, die westliche Gesellschaftsordnung
prinzipiell für attraktiv zu halten.
muesli - 19. Aug, 10:18

@martin: es gibt kein afrikanisches land, wo es nicht viele migranten gäbe. migration ist in afrika ganz normal, so gehen oft die jungen männer einige jahre auf wanderschaft um zu lernen und geld zu verdienen und kehren dann in ihre heimatdörfer zurück. staatsgrenzen spielen dabei eine untergeordnete rolle, wenn dann geht's um sprachgrenzen. zusätzlich sind viele sahel- und nordafrikanische länder zu "transitländern" für menschen geworden, die nach europa wollen. in ländern wie libyien, algerien, niger oder marokko bilden sich "wilde" lager mit tausenden auswanderern, die mitunter monatelang dort bleiben um weiteres geld für die flucht zu verdienen.

im übrigen existiert in afrika ein völlig falsches bild von europa, ein bild von unendlichem reichtum, wo es keine armut gibt. das ist der grund für die auswanderung - nicht die westliche gesellschaftsordnung.
muesli - 15. Feb, 23:06

Spät aber doch habe ich Broders Buch gelesen und in meinem Blog kommentiert: http://www.helge.at/2008/01/an-die-eigene-nase-fassen-statt-praeventivparanoia/

Interessant ist auch (wie ich finde), die anschließende Diskussion in den Kommentaren.

Abschließend: Ich vermute erstens dass du das Buch nicht gelesen hast, sondern nur den Artikel, und dass du zweitens nicht mehr ganz so auf Broders Linie wärst, hättest du es gelesen.

maschi - 16. Feb, 09:39

Ergänzend

dazu: wie Du weisst, ich habe das Buch in der Zwischenzeit gelesen. Die Folge davon, dass ich das Buch in Summe für schwach, nichtssagend, enttäuschend und kontraproduktiv halte, ist, dass ich meinen obigen Kommentar nicht mehr mit dieser Überschrift "Broder hat im Kern recht" übertiteln würde.

Daran ist allein Broder selbst schuld. Er schadet mittlerweile jener Agenda, in der man einen richtigen Kern sehen konnte und sehen kann. Er entwickelt sich vom Intellektuellen, über den Publizisten zum aufwiegelnden Politiker...

Hinter meinem ganzen restlichen Kommentar stehe ich nach wie vor zu 100%.

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