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Arbeiten Sie noch?

Zur aktuellen "Pensionsdebatte" meine heutige Presse-Kolumne:

Frühpension, also ohne Aufgabe zu sein, ist kein Privileg – im Gegenteil.

Hannes Androsch wurde jüngst gefragt, warum er in seinem Alter – er ist über 70 – und seinem Einkommen – er ist jedenfalls Millionär – noch immer arbeite. „Ich arbeite nicht, ich bin tätig“, war die bedenkenswerte Antwort. Es ist an der Zeit, die Pensionsdebatte endlich aus ihrer Begrenztheit herauszuführen.

Ist es wirklich eine soziale Errungenschaft, Menschen zwischen 50 und 60 so lange zu mobben, bis sie gegen ihren Willen, weiter „tätig sein“ zu wollen, in die Pension geschickt werden? Heute erwartet diese Menschen – statistisch – noch rund drei Jahrzehnte gesundes Leben, und unsere Gesellschaft signalisiert ihnen: „Wir brauchen dich nicht mehr, schleich dich aufs Altenteil.“

Im völligen Gegensatz zur öffentlich verbreiteten Meinung, Frühpension sei ein Privileg, verspüren sehr viele, dass genau das Gegenteil stimmt. Der Mensch ist ein schöpferisches Wesen, möchte wirken, gestalten, etwas mit anderen tun. Ohne Aufgabe zu sein ist das Gegenteil eines Privilegs. Das tatsächliche Pensionsantrittsalter liegt für Männer in Österreich bei 59 Jahren; und es sinkt weiter, im Gegensatz zu fast allen anderen OECD-Ländern.

Wohin die „Hackler-Debatte“ endlich führen müsste: Warum sind in unserem Land so viele Berufe so unattraktiv, die Arbeitsbedingungen so fremdbestimmt, dass die Flucht daraus so erstrebenswert ist? Obwohl wir, als Gesellschaft, materiell ziemlich reich geworden sind, wurde offensichtlich total verabsäumt, die vielfältigen Ausgestaltungen von „Arbeit“ zu entwickeln. Länger als bis 59 zu arbeiten, länger „tätig zu sein“ darf doch nicht als Bedrohung empfunden werden. Was wäre das für eine entsetzliche Gesellschaft? Das, was das Zentrum des Lebens oder doch zumindest ein ganz wesentlicher Teil davon ist, das, was man tut, schafft, gestaltet, wäre bloß eine Belastung, aus der man so früh wie möglich entfliehen will?

Zugespitzt gefragt: Verstößt der ORF, der dieser Tage hoch qualifizierte Journalisten in die Pension schickt, von denen manche erst in der Mitte ihrer 50er sind, alle jedenfalls weit unter dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter, nicht fundamental gegen den Artikel 23 der Menschenrechte, jenem über das Recht auf Arbeit? In diesem Artikel 23 steht auch das „Recht auf befriedigende Arbeitsbedingungen“. Hannah Arendt hat bereits in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts eines ihrer bahnbrechenden Werke verfasst: „Vita activa oder vom tätigen Leben“. Die Herren Khol und Blecha sollten es einmal durchblättern.
steppenhund - 19. Okt, 09:28

Es ist doch ganz einfach. Für diejenigen, die ihre Arbeit gerne machen, ist die Frühpension kein Privileg, eher eine Art Bestrafung. Für viele, die aber ihren Job nur deswegen machen, damit sie dann vier Wochen auf Urlaub nach Mallorca oder auf die Seyschellen fahren können, ist es ein Privileg.
Nicht alle Menschen, leider, empfinden die Arbeit als etwas Positives. Bei bestimmten Arbeiten würde es mir persönlich auch schwer fallen.
Ansonsten ist die Frühpension ein volkswirtschaftliches Verbrechen und zeigt nur die Unfähigkeit von Managern und Politikern auf. Offensichtlich sind beide unfähig, ausreichend "zu verkaufen". Arbeit gibt es immer genug. Zumindest eine Form der Arbeit, die auch etwas für die Mitmenschen tut.

Angela (Gast) - 19. Okt, 11:45

Hallo Christoph,
meines Erachtens liegt der Hund tatsächlich in der Frage begraben, wie sinnstiftend und erfüllend der Job den man hat, empfunden wird. Bei der zunehmenden Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, allem voran natürlich in Berufen, die vorrangig von schlecht qualifizierten oder nicht ausgebildeten Menschen ausgeführt werden, einhergehend mit der katastrophalen Lohnentwicklung vor allem - aber lange nicht mehr nur, siehe zb Pflegeberufe - in diesen Sparten, und der damit einhergehenden sinkenden gesellschaftlichen Anerkennung, ist es kein Wunder, dass arbeiten als nötiges Übel, um (über)leben zu können, angesehen wird, das je früher desto besser enden sollte.
Wer arbeitet denn gern länger als nötig? Universitätsprofessor_innen, Politiker_innen, Manager_innen fallen mir da zuallererst ein (hab sicher ganz ganz viele vergessen), alles gut dotierte Jobs, mit viel Gestaltungs- und Selbstbestimmungsspielraum, die einem noch dazu zu gesellschaftlicher Anerkennung und Einfluss verhelfen. Idealist_innen, die trotz schlechter Arbeitsbedingungen und nicht ausreichender Entlohnung ihren Job trotzdem gern und auch über die notwendige Dauer hinaus machen, sind wohl eher die Minderheit.
Khol und Blecha, deren Performance ich in der derzeitigen Pensionserhöhungsdebatte letztklassig finde - das gestrige "im Zentrum" war da wohl der abstoßendste Auftritt - gehören wohl eindeutig zu ersterer Gruppe...
sigi (Gast) - 22. Okt, 18:00

Es gibt keine Frühpension seit 2003 mehr.
Aber wahrscheinlich meinst du die Berufsunfähigkeitspension, wo invalide und chronisch Kranke in Pension gehen können. Und das ist sicherlich nicht freiwillig, wenn ein Mensch nicht mehr arbeitsfähig ist.

stimme da Angela zu, dass eigentlich nur gut dotierte Jobs auch im hohen Alter weiter ausgeführt werden bzw. werden können (außerdem ist da die Mehrheit auch in der Selbstständigkeit)
Martin Schimak - 19. Okt, 14:21

Fremdbestimmtheit

Vielleicht finde ich nun doch ganz langsam und mühsam meine Worte wieder.
http://martin.schimak.at/2009/10/fremdbestimmtheit

martin.k - 19. Okt, 18:18

In den USA ist zwangsweise Pensionierung übrigens schon seit Ende der 60er verboten ( http://en.wikipedia.org/wiki/Age_Discrimination_in_Employment_Act ).

Die Probleme bei ORF u.a. resultieren allerdings aus dem nicht mehr zeitgemäßen Dienstrecht. Wenn Mitarbeiter de facto unkündbar sind, dann ist Pensionierung eben die nächstbeste Lösung.

Susanne (Gast) - 20. Okt, 10:12

wandel des wohlfahrtsstaates

die frage ist, wie der staat in zukunft mit dem arbeitsmarkt umgeht. ob es so wie es jetzt ist weiter funktioniern kann. die meisten sagen ja nein. interessanter artikel dazu hier: http://fabweblog.wordpress.com/2009/10/08/der-wandel-des-wohlfahrtstaates/

sabine (Gast) - 20. Okt, 11:49

Wohlfahrtsstaat

Die Zeiten sind bald vorbei, in der sich der Staat die dicken Sozialleistungen leisten kann. Man wird den Gürtel enger scnallen müssen.
sigi (Gast) - 22. Okt, 18:06

ob das daran liegt, dass wir in der EU sind? da zählt nämlich Wirtschaft mehr, als der Mensch und soziale Faktoren.
zusätzlich hats ein kleines Land meist einfacher, was zumindest die Verwaltung anbelangt.
Wolfgang (Gast) - 23. Okt, 08:13

Die EU...

Bei den unsozialen, wirtschaftsfreundlichen Gesetzen stimmen unsere Politiker genauso mit. Klar kann man Österreich dort leicht überstimmen, aber sie versuchen ja meistens nichtmal, dagegenzustimmen.
Da wärs wichtiger, dass man in der EU bewusst die Partei wählt, die die eigenen Interessen vertritt, und nicht einfach das gleiche Kreuzl macht wie bei der Gemeinderatswahl in Imst.
tom-ate - 22. Okt, 21:13

Zwischen fremdbestimmter Arbeit und kreativem Tätigsein ist doch ein Unterschied. Frühpensionierung für Arbeitende ist ein Gewinn an Lebenszeit. Frühpensionierung für frei und kreativ Tätige kann hingegen einer Strafe gleichkommen.

So einfach ist das. Hört doch mal auf mit der sozialdemokratischen Verherrlichung der Arbeit!

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