sind die Grünen bürgerlich?
von cc am 15.09.2005
Im profil dieser Woche (leider hat profil einen „sehr bescheidenen“ webauftritt, das Interview ist nicht drauf) gibt der Innsbrucker Politikwissenschaftler Anton Pelinka ein sehr lesenswertes Interview über „die Linke“ in Europa.
Zu den Grünen meint er:
Pelinka:"Wenn man die Biografien der Führungskräfte der Grünparteien betrachtet, sind zwar viele von ihnen aus anderen linken Gruppierungen gekommen. In Bezug auf ihre soziale Herkunft sind die Grünen aber die bürgerlichste Parteifamilie Europas. Die Grünen sind Kinder des Bürgertums. In Österreich sind sowohl die grüne Partei als auch ihre Wähler viel bürgerlicher als die ÖVP."
Da mich , wahrscheinlich nicht zuletzt aus biographischen Gründen, die Frage, was eigentlich bürgerlich als politische Kategorie heisst, interessiert schickte ich folgendes mail nach Innsbruck:
sehr geehrter Herr Professor!
Mit Interesse habe ich Ihr Interview im profil gelesen.
Besonders "angesprochen" hat mich Ihre Aussage, dass "die Grünen die bürgerlichste Partei" Österreichs seinen.
Nun bewegt mich schon seit Jahren, wahrscheinlich nicht zuletzt biographisch bestimmt, die Frage, ob das Attribut "bürgerlich" eine sinnvolle politische Kategorie ist, und was etwas genauer damit gemeint ist.
Meine Bitte an Sie:
Falls Sie ein bisschen Zeit haben, würde ich mich sehr freuen, einige wenige Zeilen von Ihnen als Debattenanstoss zu bekommen, was heute in Österreich "bürgerlich" in der Politik bedeutet, und warum das gerade die Grünen Ihrer Meinung nach sind.
Ich bemühe mich derzeit auf meinem weblog www.chorherr.at eine etwas substanziellere polititische Kultur zu versuchen; lade auch "Gastkommentatoren" ein, Thesen zur Diskussion zu stellen.
Würde mich sehr freuen, wenn ich Sie dazu überreden könnte.
mit freundlichen gruessen
c.c.
Nach weniger als einer Stunde kam eine erste Antwort:
sehr geehrter Herr Abgeordneter!
der Begriff "buergerlich" ist ein tendenziell beliebiger und vager – deshalb muss man sehr sorgfaeltig mit ihm umgehen. Historisch ist er im Gegensatz zu "aristokratisch" und "baeuerlich", spaeter auch zu "proletarisch" entstanden.
Wenn man diese Kategorien auf das Wahlverhalten in Oesterreich umlegt – wobei "aristokratisch" zu vernachlaessigen ist, dann sind buergerliche WaehlerInnen solche, die weder proletarisch (d.H. ArbeiterInnen), noch baeuerlich (d.h.in der Landwirtschaft Taetige) sind. In diesem Sinne ist der Anteil der buergerlichen Stimmen unter den Gruen-Waehlenden der mit Abstand groesste Anteil unter den WaehlerInnen der 4 Parlamentsparteien. In diesem Sinn habe ich den Begriff auch verwendet (und verwende ihn regelmaessig in meinen Lehrveranstaltugnen und Publikationen - demnaechst in "Glanz und Elend der Parteien").
Das als erste Antwort - aber natuerlich koennten wir darueber noch lange diskutieren.
ap
damit gab ich mich nicht zufrieden
daher ein zweites mail:
sehr geehrter Herr Professor!
danke!!
trotzdem noch eine kurze Nachfrage:
wenn ich in Wien "bäuerlich" und "proletarisch" zusammenzähle, sind das ganz ganz wenige.
75% oder mehr sind im weitesten im Dienstleistungsbereich tätig.
Alles "Bürgerliche?"
So hätte, und das ist ja meine These der Begriff gar keinen Sinn.
Trotzdem wird er immer und immer wieder verwendet.
Finde mich selbst immer als "bürgerlicher" Grüner tituliert, und überlege, ob das mehr heisst, ausser dass mein Vater, , bei der "bürgerlichen Presse" gearbeitet hat.
Ist es blosse Schlamperei, oder warum taucht dieser Begriff so häufig auf?
gruesse
c.c.
und kurz darauf die zweite Antwort:
sehr geehrter Herr Abgeordneter!
vermeintliche unterschiede zwischen "realos" und "fundis" betont, zielt auf
eine (vermeintliche?) ideologische unterscheidung. aber dann wird die sache
wirklich uferlos - bzw. auch sinnlos, wenn z.b. die Koalition FPOe/OeVP 2000
als "buergerlich" bezeichnet wurde, obwohl die FPOe 1999 absolut mehr Sstimmen
von arbeiterInnen erhalten hatte als die SPOe. nach meinen kriterien war das
buendnis des Februar 2000 eines zwischen der relativ zweitstaerksten, absolut
staerksten buerglichen mit der eindeutig staerksten proletarischen Partei.
bezogen auf ihre eigentliche frage: ich habe die daten nicht unmittelbar zur
hand - aber so wenige arbteiterInnen gibt es in wien doch nicht! in wien ist
die wohl sinnvollste sozio-oekonomische differenzierung des elektorats die
zwischen "blue collar" (proletarisch) und "white collar" (angestellte,
oeffentlicher dienst, freie berufe). das ist zwar noch immer ziemlich unscharf
- aber zumindest weniger beliebig als die "realo"-"fundi"-unterscheidung.
fuer die implikationen und die relevanz meiner unterscheidung fuehre ich v.a.
an, dass dadurch der faktor "bildung" interpretierbar wird, der neben
"generation" und "geschlecht" das wahlverhalten heute am besten erklaert. die
gruenen sind die buergelichste partei - und die partei mit dem hoechsten anteil
von waehlerInnen mit hoeherer bildung, sowie die partei mit dem hoaechsten
frauenanteil und dem hoechsten anteil der jungen. die FPOe (oder BZOe, was
immer) hat noch immer (wenn auch weniger dramatisch als 1999)einen
ueberpropoprtionalen anteil von eher jungen und proletarischen waehlerInnen
(ohne hoehere bildung) mit starkem maennerueberhang.
gruesse, ap
Spannende Debatte:
Gibt es sie also, die „bürgerlichen Grünen“, und was heisst das genau?
Zu den Grünen meint er:
Pelinka:"Wenn man die Biografien der Führungskräfte der Grünparteien betrachtet, sind zwar viele von ihnen aus anderen linken Gruppierungen gekommen. In Bezug auf ihre soziale Herkunft sind die Grünen aber die bürgerlichste Parteifamilie Europas. Die Grünen sind Kinder des Bürgertums. In Österreich sind sowohl die grüne Partei als auch ihre Wähler viel bürgerlicher als die ÖVP."
Da mich , wahrscheinlich nicht zuletzt aus biographischen Gründen, die Frage, was eigentlich bürgerlich als politische Kategorie heisst, interessiert schickte ich folgendes mail nach Innsbruck:
sehr geehrter Herr Professor!
Mit Interesse habe ich Ihr Interview im profil gelesen.
Besonders "angesprochen" hat mich Ihre Aussage, dass "die Grünen die bürgerlichste Partei" Österreichs seinen.
Nun bewegt mich schon seit Jahren, wahrscheinlich nicht zuletzt biographisch bestimmt, die Frage, ob das Attribut "bürgerlich" eine sinnvolle politische Kategorie ist, und was etwas genauer damit gemeint ist.
Meine Bitte an Sie:
Falls Sie ein bisschen Zeit haben, würde ich mich sehr freuen, einige wenige Zeilen von Ihnen als Debattenanstoss zu bekommen, was heute in Österreich "bürgerlich" in der Politik bedeutet, und warum das gerade die Grünen Ihrer Meinung nach sind.
Ich bemühe mich derzeit auf meinem weblog www.chorherr.at eine etwas substanziellere polititische Kultur zu versuchen; lade auch "Gastkommentatoren" ein, Thesen zur Diskussion zu stellen.
Würde mich sehr freuen, wenn ich Sie dazu überreden könnte.
mit freundlichen gruessen
c.c.
Nach weniger als einer Stunde kam eine erste Antwort:
sehr geehrter Herr Abgeordneter!
der Begriff "buergerlich" ist ein tendenziell beliebiger und vager – deshalb muss man sehr sorgfaeltig mit ihm umgehen. Historisch ist er im Gegensatz zu "aristokratisch" und "baeuerlich", spaeter auch zu "proletarisch" entstanden.
Wenn man diese Kategorien auf das Wahlverhalten in Oesterreich umlegt – wobei "aristokratisch" zu vernachlaessigen ist, dann sind buergerliche WaehlerInnen solche, die weder proletarisch (d.H. ArbeiterInnen), noch baeuerlich (d.h.in der Landwirtschaft Taetige) sind. In diesem Sinne ist der Anteil der buergerlichen Stimmen unter den Gruen-Waehlenden der mit Abstand groesste Anteil unter den WaehlerInnen der 4 Parlamentsparteien. In diesem Sinn habe ich den Begriff auch verwendet (und verwende ihn regelmaessig in meinen Lehrveranstaltugnen und Publikationen - demnaechst in "Glanz und Elend der Parteien").
Das als erste Antwort - aber natuerlich koennten wir darueber noch lange diskutieren.
ap
damit gab ich mich nicht zufrieden
daher ein zweites mail:
sehr geehrter Herr Professor!
danke!!
trotzdem noch eine kurze Nachfrage:
wenn ich in Wien "bäuerlich" und "proletarisch" zusammenzähle, sind das ganz ganz wenige.
75% oder mehr sind im weitesten im Dienstleistungsbereich tätig.
Alles "Bürgerliche?"
So hätte, und das ist ja meine These der Begriff gar keinen Sinn.
Trotzdem wird er immer und immer wieder verwendet.
Finde mich selbst immer als "bürgerlicher" Grüner tituliert, und überlege, ob das mehr heisst, ausser dass mein Vater, , bei der "bürgerlichen Presse" gearbeitet hat.
Ist es blosse Schlamperei, oder warum taucht dieser Begriff so häufig auf?
gruesse
c.c.
und kurz darauf die zweite Antwort:
sehr geehrter Herr Abgeordneter!
vermeintliche unterschiede zwischen "realos" und "fundis" betont, zielt auf
eine (vermeintliche?) ideologische unterscheidung. aber dann wird die sache
wirklich uferlos - bzw. auch sinnlos, wenn z.b. die Koalition FPOe/OeVP 2000
als "buergerlich" bezeichnet wurde, obwohl die FPOe 1999 absolut mehr Sstimmen
von arbeiterInnen erhalten hatte als die SPOe. nach meinen kriterien war das
buendnis des Februar 2000 eines zwischen der relativ zweitstaerksten, absolut
staerksten buerglichen mit der eindeutig staerksten proletarischen Partei.
bezogen auf ihre eigentliche frage: ich habe die daten nicht unmittelbar zur
hand - aber so wenige arbteiterInnen gibt es in wien doch nicht! in wien ist
die wohl sinnvollste sozio-oekonomische differenzierung des elektorats die
zwischen "blue collar" (proletarisch) und "white collar" (angestellte,
oeffentlicher dienst, freie berufe). das ist zwar noch immer ziemlich unscharf
- aber zumindest weniger beliebig als die "realo"-"fundi"-unterscheidung.
fuer die implikationen und die relevanz meiner unterscheidung fuehre ich v.a.
an, dass dadurch der faktor "bildung" interpretierbar wird, der neben
"generation" und "geschlecht" das wahlverhalten heute am besten erklaert. die
gruenen sind die buergelichste partei - und die partei mit dem hoechsten anteil
von waehlerInnen mit hoeherer bildung, sowie die partei mit dem hoaechsten
frauenanteil und dem hoechsten anteil der jungen. die FPOe (oder BZOe, was
immer) hat noch immer (wenn auch weniger dramatisch als 1999)einen
ueberpropoprtionalen anteil von eher jungen und proletarischen waehlerInnen
(ohne hoehere bildung) mit starkem maennerueberhang.
gruesse, ap
Spannende Debatte:
Gibt es sie also, die „bürgerlichen Grünen“, und was heisst das genau?
Schließlich wird Chorherr von Vassilako als Angebot an die "Bürgerlichen" bezeichnet. Wer sich die in diesem
Wahlkampf auftuenden inhaltlichen und personellen Schwächen der Wiener Grünen ansieht, fragt sich wie es dazu
kommen konnte, den einzigen politischen Kopf, mit breitem Angebot an beinahe alle Grünsegmente, gegen eine
permanent überfordert wirkende Spitzenkandidatin auszutauschen, die versucht politische Grundhaltung gegen
populistische Gemeinplätze und Feelgood-Parolen ("Grün, Grün, Grün - bedeutet Spaß!" - im Report) zu tauschen.
Die Vorstellung, Vassilako müßte eine Antwort auf " was ist den eigentlich bürgerlich?" formulieren, möchte man
sich als Grünsympatisant gar nicht machen...