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Wien wächst.Aber wie! Aber wie?

Im aktuellen falter: Ein Kommentar von mir zu Zielen unserer Stadtplanungspolitik.

Wien wächst. Aber wie! Aber wie?

1880 hatte Wien 1,1 Millionen Einwohner. 1919 bereits mehr als 2 Millionen. Gründerzeit nennt man heute diese legendäre Wachstumsperiode.
Die Bausubstanz der Gründerzeit prägt das Wiener Stadtbild und das Lebensgefühl bis heute. „Wien um 1900“ ist ein kultureller Mythos. Wien wurde zu einer kosmopolitischen Weltstadt. Es gab jedoch genauso brutale Schattenseiten: Armut und Ausbeutung, elende Lebensverhältnisse und massive Ungleichheit.
Es ist dem falter zu danken, mit der letztwöchigen Titelgeschichte darauf hinzuweisen, daß wir seit einigen Jahren wieder in so einer Gründerzeit leben.
Allein im letzten Jahr ist die Bevölkerung Wiens um exakt 24 255 Menschen angestiegen. Der langjährige Trend zeigt: Wien gehört zu den stärkst wachsenden Städten Europas.
Im Bewusstsein der Wiener Bevölkerung aber auch im Fokus vieler Medien ist diese Transformation aber noch nicht angekommen.
Denn die zentrale, so wichtige Frage wird viel zuwenig diskutiert: Wenn Wien in den nächsten knapp 20 Jahren die zweitgrößte "Stadt" Österreichs innerhalb der Wiener Stadtgrenzen baut, wie sieht sie aus? Wie lebt man dort? „Wie riecht es dort?“, um eine Formulierung zu verwenden, die über technische Parameter hinausweist.
Was für eine Art neuer Stadt wollen wir in Wien bauen, heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, gut 100 Jahre nach der ersten Gründerzeit?
Hier sei jetzt in erforderlicher Knappheit versucht, sowohl die Vision zu skizzieren, die dieses Stadtwachstum leiten sollen, aber, wichtiger noch auch ehrlich auf Hemmnisse verwiesen, die dieser Vision entgegenstehen.
Denn Politik heisst vor allem, diese zu überwinden.
Im Grunde knüpft die Vision an jenen Qualitäten an, welche große Teile der Gründerzeit heute auszeichnet: Dichte, vielfältige, durchmischte, umnutzbare Stadtteile, lebendige Erdgeschoßzonen. Ergänzt um das,, was in der Gründerzeit zu kurzu kam: wohnungsnahe Parks, sowie Plätze und Freiräume, die der Begegnung dienen und auch angenommen werden. Es lohnt, genauer hinzuschauen, was diese alte gründerzeitliche Bebauung „kann“, was ihre Kerneigenschaft ist. Sie wurde zu einer Zeit geplant, in der es kein Auto, kein Radio, kein Telefon, kein Internet gab. Das Leben damals war ein gänzlich anderes. Und trotzdem: Unser modernes Leben findet wunderbar „Raum“ in diesen Strukturen. Warum? Sie sind einfach umnutzbar, adaptierbar, veränderbar.
Was in der alten Gründerzeit heute eine Wohnung ist, kann morgen ein Büro, ein Kindergarten oder eine Arztpraxis sein. Wo gestern ein Papiergeschäft war, kann heute ein Architekturbüro und morgen ein kleines Restaurant „Raum“ finden.
Womit wir bei der zentralen Schwierigkeit moderner Stadtentwicklung sind. Es gibt ganz wenige Immobilienentwickler, die dies können und wollen: gemischte, veränderbare Häuser zu errichten. Schärfer: Es werden heute kaum mehr Häuser gebaut, sondern Büroimmobilien, Einkaufszentren oder Wohnsiedlungen. Die Hauptakteure des zurecht weltweit anerkannte Wiener Wohnbaus sind Wohnbaugenossenschaften, die das können und wollen, wie sie heißen: Wohnungen bauen, aber nicht vielfältig umnutzbare Häuser mit lebendigen Erdgeschosszonen.
Auch eine Flut von Normen, die je nach Nutzung völlig Unterschiedliches verlangen, hemmt einfache Umnutzbarkeit.
Und so sehen die meisten in den letzten Jahrzehnten errichteten Stadtteile weltweit aus: Hier Wohnsiedlungen, dort Bürodistrikte, da Gewerbegebiete, die jedem urbanen Gefühl Hohn sprechen: Statt lebendiger Straßen n ebenerdige Schachtel samt riesigem Parkplatz des einen Handelsriesen hier, Konkurrenten in ebenerdiger Schachteln samt ebenso riesigem Parkplatz gegenüber, ähnlich das anschließende Möbelhaus, die Tankstelle, sowie sonstiger „Handel“, der sich sich an den Stadträndern enorm platzverschwendend und autoorientiert ausbreitet.
So muss oft ein wichtiges Wort der Stadtplanung kurz sein, und „Nein“ heißen. Angesichts des finanziellen Interesses, der oft jahrzehntelang gut geölten Netzwerke ist dieses oft schwer durchzuhalten.
Ein gutgemeintes „Ja“ der Stadtplanung zu gemischten, nutzungsoffenen Stadtstrukturen nützt wiederum nichts, wenn es zu wenige Bauträger sowie die Finanzstrukturen gibt, die solches umzusetzen auch bereit und fähig sind.
Erschwerend kommt noch dazu: Der Druck vor allem Wohnraum zu schaffen ist angesichts des Bevölkerungswachstums groß. Neue Strukturen, und die Suche nach innovativen Akteuren, das braucht auch Zeit. Inzwischen steigen die Wohnungspreise, was wiederum viele aus finanziellen Gründen nach „Suburbia“ lockt, eine besonders unökonomische und teuere Form der Stadtentwicklung.
Schließlich noch: Es ist ein wichtiges Ziel, gerade im habsburgerisch obrigkeitsstaatlich geprägten Wien die Beteiligung der Bürger/innen an der Planung dieser wachsenden Stadt zu organisieren.
Verständlicherweise gibt es ganz wenige Menschen, die es bejubeln, dass vor ihrer Haustür, vor ihrem Fenster diese dichte neue Stadt gebaut wird. „Wieso hier?“, „Warum so dicht?“, oft auch grundsätzliche Ablehnung ist der Tenor vieler Anrainern. Das schwer aufzulösende Dilemma: Jene, die eine Wohnung suchen und die an diesem Standort in Zukunft wohnen werden sind, sind schwer einzubeziehen., weil man sie noch nicht kennt.
Aufgabe der Politik ist ein „Trotzdem“ und braucht zweierlei. Eine klare Vision und eine fantasievolle und manchmal auch listige Taktik, um all diese Hemmnisse zu überwinden.
Roland Wück (Gast) - 3. Feb, 01:15

ja richtig

Lieber Herr Chorherr
diese listige Taktik bekommen vor allem wir zu spüren, wir , die Anrainer und Experten der Gebiete in denen neue saudichte Stadt entstehen soll. Wir sind scheinbar das Hemmnis das es zu überwinden gilt. Nicht die Investoren werden genötigt , wenn schon so dicht , dann mit Qualität und Ausgleich. (übrigens war fehlende Dichte früher immer das Argument für weniger Qualität)
Die gut geölten Netzwerke haben ihr Ende erreicht. Wer das nicht einsieht ist mit seiner Vision schon vor dem Start am Ende.
In diesem Sinne
Keine Wiesen unter diesen Umständen, dort stinkt das verfahren zum himmel und Sie wissen es...
Oder?

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