Verfassungsdebatte
von cc am 11.11.2006
Spannend sind diese Tage und spannend ist insbesondere, dass so eine abstrakte Materie, wie "die österreichische Bundesverfassung" plötzlich sehr lebendig wirkt.
Wichtig scheinen mir ein paar Begriffsklärungen:
In allen Medien und auch von etlichen Poltikern wird dieser Tage darüber debattiert, ob die eine oder andere Partei eine Minderheitsregierung "dulden" solle.
Tatsache ist, es gibt keinerlei "Duldungsabstimmung", ausser wir würden die Verfassung ändern und Geralds Vorschlag aufgreifen, aber dazu später.
Denn derzeit wird der Bundeskanzler nicht vom Parlament gewählt, sondern vom Bundespräsidenten ernannt.
Was unter "Duldung" wahrscheinlich verstanden wird:Soll ein Misstrauensantrag gestellt oder unterstützt werden?
Meine ganz persönliche Meinung dazu:dafür braucht es einen hinreichenden politischen Grund (Aussagen, Handlungen)
Die schlichte Tatsache dass eine Regierung keine sichere Mehrheit im Parlament hat, ist für mich kein Grund.
Zweite Möglichkeit, die der Mehrheit im Parlament stets offensteht ist ein Neuwahlantrag.
Beschliessen es alle Parteien, um durch Neuwahlen die Möglichkeit für andere Regierungsmehrheiten zu schaffen ist das eine Möglichkeit.
Die andere: Die SPÖ signalisiert mit einem "Minderheitenkabinett", dass sie regieren will.
Dann könnte eine Mehrheit von schwarz/blau/grün oder schwarz/blau/orange Neuwahlen beschliessen.
Das ohne inhaltliche-politischen Grund zu tun hielte ich für uns Grüne (gelinde ausgedrückt) für begrenzt schlau.
Eine weiter Verfassungsdebatte wird derzeit geführt:
Ist unser Verhältniswahlrecht, welches zu Koalitionen zwingt passend, oder wäre nicht ein Mehrheitswahlrecht (wie in Italien oder Grossbritannien)besser?
Ein Mehrheitswahlsystem, wo automatisch die stärkste Partei den Kanzler stellt, tendiert fast zwangsläufig zu einem Zweiparteiensystem, was ich aus vielen Gründen für nicht zweckmässig halte; die Grünen wären so, als politische Partei nie entstanden.
Ausserdem wird damit dem Irrtum Vorschub geleistet, mit einer Nationalratwahl würde die Regierung gewählt werden.
Wenn man das möchte, dann bitte gleich ordentlich, wie in den USA oder in Frankreich.
Da wird einerseits eine Regierung (ein Präsident) gewählt, andererseits - meist zu einem anderen Zeitpunkt - ein Parlament.
Mir scheint jedoch ein politisches System, in dem das Parlament gestärkt, und die Macht der Exekutive begrenzt ist (siehe mein Beitrag vor ein paar Tagen) am sinnvollsten und auch am durchsetzbarsten zu sein, weil man dazu keine grosse Verfassungsänderung bräuchte.
Zwei kleine Reformen könnten jedoch starke Verbesserungen bringen:
*) Weil auch in den postings hier zurecht der Klubzwang kritisiert wurde:
Würden die Wähler/innen einer Partei am Wahltag mithilfe eines wirksamen Vorzugststimmensystems wirklich Kandidat/innen umreihen können (derzeit sind die Hürden viel zu hoch), wären die Abgeordenten viel stärker öffentlich verpflichtet und weniger der Parteidisziplin unterworfen.
Derzeit bestimmt bei allen Parteien fast ausschliesslich das partei-interne standing, ob "man" einen "aussichtsreichen" Listenplatz erhält.
Die Wähler/innen haben fast keine Möglichkeit der Mitentscheidung.
Ganz anders sähe es in den Parlamenten aus, wenn die Reihung der Partei bloss eine "Vorschlag" wäre, die letzgültige Entscheidung, wer ein Mandat erhält jedoch die Wähler/innen der Partei treffen.
*) Konsens war im letztlich gescheiterten Verfassungskonvent, die Hürde, ab der eine Partei in ein Parlamet einzieht österreichweit auf 5% zu vereinheitlichen.
In Kärnten liegt sie bei ca 10%, auf Bundesebene derzeit bei 4%.
Wäre das beschlossen worden, gäbe es im Parlament eine rot/grüne Mehrheit.
Nochmal zu Geralds Vorschlag :
Sosehr ich schon immer dafür war, Österreich zu "entfeudalisieren" und das Parlament zu stärken, d.h. konkret, den Kanzler nicht vom Bundespräsidenten "ernennen" sondern vom Parlament wählen zu lassen, in unserer derzeitigen Situation würde das wenig weiterhelfen.
Denn entweder müsste die VP Gusenbauer zum Kanzler wählen (was ich sehr bezweifle) oder neben den Grünen müsste blau oder orange mitwählen. Und das wäre dann in der Tat mehr als eine "punktuelle parlamentarische Zusammenarbeit".
Denn klarerweise werden an die Wahl eines Regierungschefs politische Bedingungen geknüpft.
Wichtig scheinen mir ein paar Begriffsklärungen:
In allen Medien und auch von etlichen Poltikern wird dieser Tage darüber debattiert, ob die eine oder andere Partei eine Minderheitsregierung "dulden" solle.
Tatsache ist, es gibt keinerlei "Duldungsabstimmung", ausser wir würden die Verfassung ändern und Geralds Vorschlag aufgreifen, aber dazu später.
Denn derzeit wird der Bundeskanzler nicht vom Parlament gewählt, sondern vom Bundespräsidenten ernannt.
Was unter "Duldung" wahrscheinlich verstanden wird:Soll ein Misstrauensantrag gestellt oder unterstützt werden?
Meine ganz persönliche Meinung dazu:dafür braucht es einen hinreichenden politischen Grund (Aussagen, Handlungen)
Die schlichte Tatsache dass eine Regierung keine sichere Mehrheit im Parlament hat, ist für mich kein Grund.
Zweite Möglichkeit, die der Mehrheit im Parlament stets offensteht ist ein Neuwahlantrag.
Beschliessen es alle Parteien, um durch Neuwahlen die Möglichkeit für andere Regierungsmehrheiten zu schaffen ist das eine Möglichkeit.
Die andere: Die SPÖ signalisiert mit einem "Minderheitenkabinett", dass sie regieren will.
Dann könnte eine Mehrheit von schwarz/blau/grün oder schwarz/blau/orange Neuwahlen beschliessen.
Das ohne inhaltliche-politischen Grund zu tun hielte ich für uns Grüne (gelinde ausgedrückt) für begrenzt schlau.
Eine weiter Verfassungsdebatte wird derzeit geführt:
Ist unser Verhältniswahlrecht, welches zu Koalitionen zwingt passend, oder wäre nicht ein Mehrheitswahlrecht (wie in Italien oder Grossbritannien)besser?
Ein Mehrheitswahlsystem, wo automatisch die stärkste Partei den Kanzler stellt, tendiert fast zwangsläufig zu einem Zweiparteiensystem, was ich aus vielen Gründen für nicht zweckmässig halte; die Grünen wären so, als politische Partei nie entstanden.
Ausserdem wird damit dem Irrtum Vorschub geleistet, mit einer Nationalratwahl würde die Regierung gewählt werden.
Wenn man das möchte, dann bitte gleich ordentlich, wie in den USA oder in Frankreich.
Da wird einerseits eine Regierung (ein Präsident) gewählt, andererseits - meist zu einem anderen Zeitpunkt - ein Parlament.
Mir scheint jedoch ein politisches System, in dem das Parlament gestärkt, und die Macht der Exekutive begrenzt ist (siehe mein Beitrag vor ein paar Tagen) am sinnvollsten und auch am durchsetzbarsten zu sein, weil man dazu keine grosse Verfassungsänderung bräuchte.
Zwei kleine Reformen könnten jedoch starke Verbesserungen bringen:
*) Weil auch in den postings hier zurecht der Klubzwang kritisiert wurde:
Würden die Wähler/innen einer Partei am Wahltag mithilfe eines wirksamen Vorzugststimmensystems wirklich Kandidat/innen umreihen können (derzeit sind die Hürden viel zu hoch), wären die Abgeordenten viel stärker öffentlich verpflichtet und weniger der Parteidisziplin unterworfen.
Derzeit bestimmt bei allen Parteien fast ausschliesslich das partei-interne standing, ob "man" einen "aussichtsreichen" Listenplatz erhält.
Die Wähler/innen haben fast keine Möglichkeit der Mitentscheidung.
Ganz anders sähe es in den Parlamenten aus, wenn die Reihung der Partei bloss eine "Vorschlag" wäre, die letzgültige Entscheidung, wer ein Mandat erhält jedoch die Wähler/innen der Partei treffen.
*) Konsens war im letztlich gescheiterten Verfassungskonvent, die Hürde, ab der eine Partei in ein Parlamet einzieht österreichweit auf 5% zu vereinheitlichen.
In Kärnten liegt sie bei ca 10%, auf Bundesebene derzeit bei 4%.
Wäre das beschlossen worden, gäbe es im Parlament eine rot/grüne Mehrheit.
Nochmal zu Geralds Vorschlag :
Sosehr ich schon immer dafür war, Österreich zu "entfeudalisieren" und das Parlament zu stärken, d.h. konkret, den Kanzler nicht vom Bundespräsidenten "ernennen" sondern vom Parlament wählen zu lassen, in unserer derzeitigen Situation würde das wenig weiterhelfen.
Denn entweder müsste die VP Gusenbauer zum Kanzler wählen (was ich sehr bezweifle) oder neben den Grünen müsste blau oder orange mitwählen. Und das wäre dann in der Tat mehr als eine "punktuelle parlamentarische Zusammenarbeit".
Denn klarerweise werden an die Wahl eines Regierungschefs politische Bedingungen geknüpft.
Das freie Parlament...
Und wieder nix Gewaltenteilung.
Das Parlament ist historisch entstanden als Gegenpol zum Monarchen, und war historisch somit nicht mit der "Vollziehung" verbandelt, sondern stand im Gegenteil einer *konstanten* Regierungsmacht gegenüber. Die "Entfeudalisierung" bestand darin, dass man eine nicht demokratisch legitimierte Exekutive demokratisiert hat. Die Gewaltenteilung ist dabei leider in manchen Systemen auf der Strecke geblieben, weil man gesagt hat: OK, ein demokratisch legitimiertes Organ haben wir ja ohnehin schon mit dem Parlament, also wählen wir die Regierung einfach im Parlament. Damit ist die Gewaltenteilung aber in diesen Systemen weitestgehend pfutsch. Und rund 100 Jahre später ist Exekutive und Legislative kaum mehr unterscheidbar - und beides in der Geiselhaft einer Oligarchie der Parteispitzen.
Aus demselben historischen Grund ist übrigens auch die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen oftmals bis heute ein Mehrheitsrecht des Parlaments geblieben, weil es historisch ein gegen die Regierung des Monarchen gerichtetes Kontrollinstrument des Parlaments war... historisch logisch, in den heute rein parlamentarischen Systemen fatal.
Es hat nun sicher nichts mit "feudalen" Zuständen zu tun, wenn man die Regierung direktdemokratisch legitimiert (und eine vorzeitige Absetzung derselben zB über ein verfassungsGERICHTLICHES Verfahren und uU auch per Volksabstimmung ermöglicht).
Mein Wunschsystem:
- Regierung wird (per Präsidenten-, Premierminister- oder Teamwahl) direktdemokratisch legitimiert
- Gesetzgebung (Parlament) wird per Verhältniswahlrecht gewählt, wobei der Stimmbürger möglichst starken Einfluss auf die personelle Zusammensetzung bekommt (siehe oben, und da gibts auch noch andere Ideen)
- direktdemokratische Mittel für das Volk: Vetorecht, Volksinitiative
Ein solches System unterscheidet sich übrigens auch vom US-System recht grob, denn dort hat der Präsident sogar ein Vetorecht gegenüber der Gesetzgebung...
Zum Abschluss: Solange wir nicht anfangen auch in der Demokratie an den Wert des "Bottom-Up"-Prinzips zu glauben (indem wir direktdemokratische Elemente stärken), solange werden Reformen, die in der Praxis gegen den Willen aller Parteien sind, immer Illusion bleiben.
Beispiele für Bereiche, in denen das gemeinsame Parteiinteresse sich direkt gegen das Volksinteresse wendet gibt es unzählige, von der (In-)Transparenz der Parteienfinanzierung angefangen bis zum oben erwähnten "wirksamen" Vorzugsstimmenwahlrecht... "Top down" wirds solche Reformen einfach nicht spielen!