Wo habe ich mich geirrt?
von cc am 04.01.2017
Was sehe ich heute anders als noch vor 10 Jahren?
Oder selbstkritischer formuliert:
Wo habe ich mich geirrt?
Diese Fragen sollten sich alle Menschen gelegentlich stellen und auch zu beantworten versuchen, auch wenns vielleicht schmerzhaft ist.
Wir Politiker sollten es auch öffentlich versuchen.
Auslöser dieser Gedanken ist dieses Interview mit Franz Fischler: „In meinem Denken hat sich Fundamentales verändert. Der Zerfall der EU war für mich undenkbar. Heute muss ich sagen: Dies war ein großer Fehler meiner Politikergenerration.“
Also denke ich nach.
Was hab ich vor (rund 10) Jahren anders gesehen?
Wo habe ich mich geirrt?
Und ich widerstehe dem starken Drang, hinzuzufügen, wo ich recht behalten habe. Auch wenn es schwer fällt.
Da es jetzt nicht um eine vollständige „Gewissenserforschung“ geht, sind das nur erste Beispiele. Sie werden in nächster Zeit ergänzt werden.
Was mir als erstes einfällt: Meine völlige, wunschbedingte Fehleinschätzung des arabischen Frühlings.
Bravo, wenn Diktatoren durch einen Volksaufstand fallen, kann nur etwas Besseres nachfolgen.
Was für ein Fehler!
Es kann noch viel schlimmer kommen.
Viel, viel schlimmer.
Ich blicke heute nach Ägypten oder gar nach Syrien.
Und bemerke heute meinen gewachsenen Konservativismus:
Ermöglichten nicht die (brutalen) Diktatoren Hussein, Mubarak, Gadaffi deutlich bessere Lebensbedingungen als das, was heute dort ist?
Ich erschrecke geradezu vor folgendem Gedanken:
Sollen wir nicht froh sein, dass Putin für Stabilität in Russland sorgt?
Stellen wir uns in diesem Vielvölkerstaat Revolutionen vor. Einen Wegfall staatlicher Ordnung.
In einem mit Atomsprengköpfen bestückten Riesenterretorium.
Und schon bin ich beim Zweiten, meiner geänderten Meinung über die plebiszitäre Demokratie.
Als 1960 Geborener, dessen Einstieg ins politische Denken die Auseinandersetzung und letztlich der Sieg bei der Volksabstimmung über das Kernkraftwerk Zwentendorf mein politisches Denken geprägt hat, habe ich lange an der Forderung: „Mehr Volksabstimmungen“ festgehalten.
Heute sehe ich Kampagnen vor Volksabstimmungen, ihr Ausmass an Desinformation, und schätze immer mehr die Zivilisierung politischer Konflikte durch eine oft langweilige repräsentative Demokratie.
Weil sich die meisten Fragen nicht auf ein simples Ja/Nein reduzieren lassen.
Weil der Kompromiss die Quintessenz der Demokratie ist.
Weil es „den Volkswillen“ nicht gibt, sondern er durch viele Verhandlungen und Kompromisse erst hergestellt werden muss.
Jetzt zwei Fehleinschätzungen in meinen Kernbereichen, der Energie - und Verkehrspolitik:
+) Peakoil, das Maximum der Erdölförderung ist bald erreicht.
Hier habe ich die technischen Möglichkeiten der Ölgewinnung (shale-oil) total unterschätzt. Das war total falsch. Dass jetzt (wahrscheinlich) Peak-oil-demand kommen wird, die Ölnachfrage weltweit aus vielerlei Gründen zurückgehen wird, macht meine Fehleinschätzung nicht richtiger
+) Aus dem Elektroauto wird nie etwas!
Wenn schon die Batterie mehr kostet als ein ganzes konventionelles Auto, und man damit kaum 150km fahren kann, kann das nix werden.
Grandiose Fehleinschätzung. Einmal mehr den technischen Fortschritt unterschätzt. Tesla hupfte vor, alle Autokonzerne investieren jetzt Mrd-Summen, Batterien werden immer leistungsfähiger und billiger, 2019/2020 scheint der grosse Durchbruch zu kommen, Auch deswegen wird Ölverbrauch zurückgehen.
Oder irre ich wieder?
Wo ich vielleicht nicht geirrt habe, aber Grundlegendes anders sehe als noch vor 10 Jahren:
Unsere Demokratie halte ich heute nicht mehr für gesichert.
Ob es die EU in 5 Jahren noch geben wird, weiss ich nicht.
DIE grosse Herausforderung Europas ist die Unterstützung/Stabilisierung Nordafrikas sowie des arabischen Raums.
Die Fernsehbilder des ersten und zweiten Golfkriegs kamen von ganz weit her und betrafen die USA mehr als uns.
Heute wissen und spüren wir: Was in diesen unseren südöstlichen Nachbarländern passiert, betrifft uns unmittelbar.
Solange dort Krieg, Armut und Instabilität vorherrschen, werden viele versuchen nach Europa zu gelangen.
Unsere Sicherheit hängt von der Sicherheit dort ab.
Das war mir so existenziell vor 10 Jahren nicht klar.
Und jetzt halte ich mein Versprechen und schreibe nicht darüber, wo ich recht behalten habe :-))
Irrtümer: to be continued
updated: Wo ich mich 2015 so geirrt habe, dass ich niemals weider Wahlprognosen abgeben werde:
Brexit, und Trump
Bei beiden war ich 100% sicher, dass es anders ausgehen würde
Abschliessend eines meiner Lieblingsgedichte:
Ever tried.
Ever failed.
No matter.
Try again.
Fail again.
Fail better.
(Samuel Beckett)
Oder selbstkritischer formuliert:
Wo habe ich mich geirrt?
Diese Fragen sollten sich alle Menschen gelegentlich stellen und auch zu beantworten versuchen, auch wenns vielleicht schmerzhaft ist.
Wir Politiker sollten es auch öffentlich versuchen.
Auslöser dieser Gedanken ist dieses Interview mit Franz Fischler: „In meinem Denken hat sich Fundamentales verändert. Der Zerfall der EU war für mich undenkbar. Heute muss ich sagen: Dies war ein großer Fehler meiner Politikergenerration.“
Also denke ich nach.
Was hab ich vor (rund 10) Jahren anders gesehen?
Wo habe ich mich geirrt?
Und ich widerstehe dem starken Drang, hinzuzufügen, wo ich recht behalten habe. Auch wenn es schwer fällt.
Da es jetzt nicht um eine vollständige „Gewissenserforschung“ geht, sind das nur erste Beispiele. Sie werden in nächster Zeit ergänzt werden.
Was mir als erstes einfällt: Meine völlige, wunschbedingte Fehleinschätzung des arabischen Frühlings.
Bravo, wenn Diktatoren durch einen Volksaufstand fallen, kann nur etwas Besseres nachfolgen.
Was für ein Fehler!
Es kann noch viel schlimmer kommen.
Viel, viel schlimmer.
Ich blicke heute nach Ägypten oder gar nach Syrien.
Und bemerke heute meinen gewachsenen Konservativismus:
Ermöglichten nicht die (brutalen) Diktatoren Hussein, Mubarak, Gadaffi deutlich bessere Lebensbedingungen als das, was heute dort ist?
Ich erschrecke geradezu vor folgendem Gedanken:
Sollen wir nicht froh sein, dass Putin für Stabilität in Russland sorgt?
Stellen wir uns in diesem Vielvölkerstaat Revolutionen vor. Einen Wegfall staatlicher Ordnung.
In einem mit Atomsprengköpfen bestückten Riesenterretorium.
Und schon bin ich beim Zweiten, meiner geänderten Meinung über die plebiszitäre Demokratie.
Als 1960 Geborener, dessen Einstieg ins politische Denken die Auseinandersetzung und letztlich der Sieg bei der Volksabstimmung über das Kernkraftwerk Zwentendorf mein politisches Denken geprägt hat, habe ich lange an der Forderung: „Mehr Volksabstimmungen“ festgehalten.
Heute sehe ich Kampagnen vor Volksabstimmungen, ihr Ausmass an Desinformation, und schätze immer mehr die Zivilisierung politischer Konflikte durch eine oft langweilige repräsentative Demokratie.
Weil sich die meisten Fragen nicht auf ein simples Ja/Nein reduzieren lassen.
Weil der Kompromiss die Quintessenz der Demokratie ist.
Weil es „den Volkswillen“ nicht gibt, sondern er durch viele Verhandlungen und Kompromisse erst hergestellt werden muss.
Jetzt zwei Fehleinschätzungen in meinen Kernbereichen, der Energie - und Verkehrspolitik:
+) Peakoil, das Maximum der Erdölförderung ist bald erreicht.
Hier habe ich die technischen Möglichkeiten der Ölgewinnung (shale-oil) total unterschätzt. Das war total falsch. Dass jetzt (wahrscheinlich) Peak-oil-demand kommen wird, die Ölnachfrage weltweit aus vielerlei Gründen zurückgehen wird, macht meine Fehleinschätzung nicht richtiger
+) Aus dem Elektroauto wird nie etwas!
Wenn schon die Batterie mehr kostet als ein ganzes konventionelles Auto, und man damit kaum 150km fahren kann, kann das nix werden.
Grandiose Fehleinschätzung. Einmal mehr den technischen Fortschritt unterschätzt. Tesla hupfte vor, alle Autokonzerne investieren jetzt Mrd-Summen, Batterien werden immer leistungsfähiger und billiger, 2019/2020 scheint der grosse Durchbruch zu kommen, Auch deswegen wird Ölverbrauch zurückgehen.
Oder irre ich wieder?
Wo ich vielleicht nicht geirrt habe, aber Grundlegendes anders sehe als noch vor 10 Jahren:
Unsere Demokratie halte ich heute nicht mehr für gesichert.
Ob es die EU in 5 Jahren noch geben wird, weiss ich nicht.
DIE grosse Herausforderung Europas ist die Unterstützung/Stabilisierung Nordafrikas sowie des arabischen Raums.
Die Fernsehbilder des ersten und zweiten Golfkriegs kamen von ganz weit her und betrafen die USA mehr als uns.
Heute wissen und spüren wir: Was in diesen unseren südöstlichen Nachbarländern passiert, betrifft uns unmittelbar.
Solange dort Krieg, Armut und Instabilität vorherrschen, werden viele versuchen nach Europa zu gelangen.
Unsere Sicherheit hängt von der Sicherheit dort ab.
Das war mir so existenziell vor 10 Jahren nicht klar.
Und jetzt halte ich mein Versprechen und schreibe nicht darüber, wo ich recht behalten habe :-))
Irrtümer: to be continued
updated: Wo ich mich 2015 so geirrt habe, dass ich niemals weider Wahlprognosen abgeben werde:
Brexit, und Trump
Bei beiden war ich 100% sicher, dass es anders ausgehen würde
Abschliessend eines meiner Lieblingsgedichte:
Ever tried.
Ever failed.
No matter.
Try again.
Fail again.
Fail better.
(Samuel Beckett)
Volksabstimmungen
Ja, klar: “Volksabstimmungen" sind bloß Anlass für aufgeheizte Kampagnen, parteitaktisch oder auch von Boulevardmedien missbrauchbar und mit bloßem Ja/Nein zu einer oktroyierten Frage sowieso nicht ernsthafte Mitbestimmung.
Aber glaubst du, dass die Mehrheit der Menschen die "oft langweilige repräsentative Demokratie" längerfristig (weiterhin/wieder) als legitim und funktionstüchtig wahrnehmen werden? Während die alten Gatekeeper-Institutionen untergehen, Leute sich ihre eigenen Bubbles zimmern, die technischen Möglichkeiten für Meinungsäußerung und für die Personalisierung des Weltbilds immer weiter steigen – kann die Politik da bleiben, wie immer? Wie tief kann die Wahlbeteiligung sinken?
Sind Brexit und Trump nicht genau Ausdruck davon, dass sich bereits knappe Mehrheiten vom auf immer wackligeren Beinen stehenden politischen Mainstream entfremdet haben, sich nicht mehr repräsentiert fühlen und darauf primär hinhauen wollen, statt sich auf vorgesehene/angebotene Art damit zu beschäftigen – zu Fleiß das tun, was die talking heads im Fernsehen am meisten schockiert?
Ich hab keine Sympathien für die konkreten politischen Forderungen der Trump/Brexit/Hofer-WählerInnen. Aber ich sehe trotzdem keinen Weg daran vorbei, das Gefühl der breiten Bevölkerung massiv zu steigern, dass sie an unserem politischen System ernsthaft teilhaben und sich kontinuierlich einbringen können – damit sich der Frust eben nicht wie ein Blitz in diesen wenigen Mitbestimmungsmöglichkeiten mit katastrophalen Folgen entlädt.
Bzw.: Der andere Weg, den ich sehe, scheint zu immer mehr Populismus und ultimativ zum demokratisch gewählten Autoritarismus zu führen.
Ich seh leider auch keinerlei politischen Willen der aktuell Machthabenden, dieses Problem anzugehen – oder die anderen Faktoren, die dem Frust zugrundeliegen (Zukunftsperspektive, Bildung, usw). Bis die draufkommen, dass sie etwas ändern hätten müssen, wird es zu spät sein – und Macht gibt sowieso niemand freiwillig ab.