Raumplanung in Österreich: Eine Abrechnung
von cc am 18.06.2010
Das halte ich für eines der wichtigsten und unterschätztesten Themen schlechthin.
Eine Bilanz von 50 Jahren Raumentwicklung in Österreich.
25 Minuten "Fest"-Rede am Jahrestag der österr. Raumplaner.
Und eine der mir wichtigsten Reden der letzten Jahre überhaupt.
Teil1:
Teil 2:
Teil 3:
Eine Bilanz von 50 Jahren Raumentwicklung in Österreich.
25 Minuten "Fest"-Rede am Jahrestag der österr. Raumplaner.
Und eine der mir wichtigsten Reden der letzten Jahre überhaupt.
Teil1:
Teil 2:
Teil 3:
Das einzige was mir vielleicht ein bisschen zu kurz kam: es war mehrere Male die Rede von der Rolle des Autos. Gut. Wie ist es aber dazu gekommen, dass soviel und immer mehr "für das Auto" gemacht wird? Ich behaupte: der "Fall Auto" ist das vielleicht überhaupt krasseste historische Beispiel dafür, wie (demokratische) Politik das Kostengefüge, ja die Ökonomie einer gesamten Gesellschaft auf den Kopf stellen kann. Wenn die Kosten des Verhaltens eines einzelnen Autofahrers (vom Strassenbau über Platzverbrauch und Grundstücksentwertung bis Umweltschäden) im wesentlichen gemeinsam getragen werden (der einzelne diese Kosten also zwar mitträgt, sich ihnen aber auch nicht entziehen kann) und der Nutzen dann in der einzelnen Situation von A nach B zu kommen im wesentlichen aber dem Einzelnen zugutekommt, entsteht eine völlig neue und in der Gesamtschau betrachtet zutiefst unökonomische, ja jeder gesamtökonomischen Vernunft widersprechende ökonomische Vernunft des Einzelnen.
Ich halte das auch abgesehen vom "Fall Auto" für die "single most important issue" einer modernen, eine Marktwirtschaft regulierenden Politik, die immer noch kaum verstanden wird: die Politik muss bei jeder ihrer Entscheidungen verstehen, dass die ökonomische Wahrheit des einzelnen so gestaltet sein muss, dass seine darauf fussenden individuellen Entscheidungen in der Regel auch zu einem gesamtökonomisch sinnvollen Einsatz von Ressourcen führen werden.
Beim Auto ist immer noch das Gegenteil der Fall: jeder der keins hat, ist im Grunde genommen ein Trottel. Er zahlt für sein Haus, verzichtet aber dann darauf, darin zu wohnen.
Dabei müsste die Politik sogar versuchen, der diese Effekte weiter verstärkenden "Fixkostenlogik" des Autobesitzes *entgegenzuwirken*. Dadurch, dass ich in unserer Gesellschaft zumeist ein Auto brauche, muss ich den grössten Teil der Kosten "sowieso" tragen. Der einzelne Einsatz und dessen variable Kosten sind im Vergleich nahezu irrelevant. Und nicht zu vergessen: all diese Autobesitzer, die ihre Fixkosten "sowieso" tragen müssen üben einen enormen "demokratischen" Druck aus, weiter und immer weiter ins Auto zu investieren.
Im "Fall Auto" ist die Milch längst verschüttet. Aber lernen wir daraus. Für eine Politik, die eine sich im Rahmen der von ihr gesetzten Regeln selbst organisierende Wirtschaft auch verstanden hat...
Ist es nicht eigenartig, dass in den von Christoph angesprochenen Jahrtausenden der menschlichen Siedlungsgeschichte eher kompakte Siedlungen und Städte entstanden? Das war zu Zeiten, als es keine Zentralgewalt oder Bauordnung gab und gar keine Budgets für den groß angelegten Straßenbau.
Der Staat verhindert Mischnutzung und Verdichtung. Ich darf in einer Reihensiedlung weder ein Geschäft eröffnen, noch ein großes Zinshaus bauen. Somit entstehen gar keine kompakteren Siedlungen, die für jene attraktiv wären, die das wollen.
Die Asfinag ist ein Staatsbetrieb und es gibt Enteignungen für den Straßenbau. Die Subvention der Straße macht freilich die Bahn unprofitabel. Bevor es die Autobahnen gab, gab es private Eisenbahnbarone- und gesellschaften, die Eisenbahnen bauten.
Auf der anderen Seite könnte man in einem laissez-faire System sein Häuschen überall dorthin bauen, wo man Grund erwirbt. Aber man müsste selbst für den Bau und den Erhalt von Straßen sorgen und man müsste für seine eigene Sicherheit sorgen. Das letztere Thema ist nicht zu unterschätzen.
Es gibt ja auch alte, allein stehende Gutshöfe, oder Bergbauernhöfe, aber im Regelfall waren die Siedlungen kompakt und meist um einen Anger herum angelegt, wo die Tiere über Nacht in Sicherheit abgestellt wurden. Im altgermanischen und nordischen Recht war auch der Ausstoß aus der Gemeinde eine schwere Strafe. Die Studenten waren im Mittelalter auch nicht aus Jux mit Schwertern bewaffnet. Reisen war gefährlich. Handelsstädte sorgten für die Sicherung der Handelswege vor Wegelagerern usw.
Das klingt heute abwegig und nicht zeitgemäß, ist es aber. Die aktuellen Diebsstahlsserien im Burgenland wären früher so meiner Meinung nach nicht möglich gewesen, weil Diebe in einem kompakten und belebten Dorf sofort aufsehen erregen, während sie in zerfledderten, unüberschaubaren Siedlung oder in nachts menschenleeren Gewerbegebieten leichtes Spiel haben.
Richten soll es nun der Staat mit mehr Polizei oder neuerdings gar Militär.
Über diesen Ansatz könnten die Grünen übrigens das Sicherheitsthema einbringen.
Die Gemeinde-Strukturierung hat sich von der ursprünglichen, organischen Struktur entfremdet. Eigentlich müsste jede, allein stehende Häusergruppe als eigene Gemeinde gelten, die dann auch selbst für Sicherheit, Feuerwehr, Rettungsdienste usw. aufzukommen hätte.
Es ist jedenfalls falsch, Profit, Kommerz und Bereicherung mit dem Markt gleich zu setzen. Und es nutzt relativ wenig, den Raumplanern und den durch Umwidmung begünstigen Bauern zu sagen, dass sie doch auf Bereicherung zu Gunsten des Allgemeinwohls verzichten sollten. Wir müssen die Anreize ändern.
Worüber ich gesprochen habe, ist der Einfluss des Autos auf die Zersiedelung und den erklecklichen Anteil, den demokratische Politik daran hat. Ich glaube allerdings schon, dass es sehr notwendig ist, dass wir gemeinsame Initiativen setzen um "Infrastruktur" zu schaffen, deren Finanzierung bzw Risken private Investoren überfordern würden. Aber umso wichtiger ist es, dass in Folge die Refinanzierung und alle wirtschaftlichen Schäden so weit wie irgendwie möglich von den Nutzern bezahlt werden. Erst das schafft sinnvolle Signale für die Nutzung und u.a. auch die Transparenz für die Sinnhaftigkeit zukünftiger Vorhaben.
Dass es "reine" Spekulation sei, dass es in "marktradikalen System ebenso Zersiedelung gäbe" glaube ich eher nicht, aber Spekulation ist dabei. Es gibt für mich aber schon Indizien dafür, dass der historische Grund für die kompakten Siedlungen und Städte eben die mangelnde Mobilität war - und eben die Erfindung des Autos bei gleichzeitig starken individuellen Anreizen es auch zu nutzen (weil die Gesellschaft einen Grossteil der Kosten trägt) dieses Bild massiv verändert hat. Raumplanung ist so gesehen nichts anderes als der Versuch, die wahren Kosten der Zersiedelung durch einen planerischen Ansatz in den Griff zu bekommen. Heute in Europa entstehende Städte ohne jede Raumplanung sähen vermutlich eher so aus wie Los Angeles eben aussieht oder stark wachsende Städte in Emerging Economies eben aussehen. Ich glaube aber wie Du, dass wir neben Planung verstärkt über Anreize und sich dann selbst regulierende Mechanismen nachdenken müssen, die völlig falschen Anreize zur Autonutzung sind da wohl nur ein Teil davon.
Das ist ja ein Widerspruch. Wenn du die Kosten erst wieder internalisieren würdest, dann sind wir dort, wo wir ohne Sozialisierung ohnehin wären. Nämlich, dass jeder seinen Anteil selber zahlt.
"Es gibt für mich aber schon Indizien dafür, dass der historische Grund für die kompakten Siedlungen und Städte eben die mangelnde Mobilität war"
Aber die Straßen sind Grundvoraussetzung für die Mobilität. Die Autos fahren überall dort, wo der Staat vorher die Straßen gebaut hat und nicht umgekehrt.
"Heute in Europa entstehende Städte ohne jede Raumplanung sähen vermutlich eher so aus wie Los Angeles"
Ganz falsch. In den USA gibt es ganz strikte Raumplanung, die auf Zersiedelung, bzw. Retortensuburbs hinausläuft. Vorgeschriebene Anzahl von Parkplätzen, Straßenbreiten, Kurvenradien, vorgeschriebener Abstand zwischen Haus und Grundstücksgrenze, Verbot von Vermietung, Verdichtung, Mischnutzung, etc.
Die New Urbanists, die dichte Siedlungen und fußläufige Stadtteile bauen wollen, die ökonomisch sogar recht erfolgreich sind, haben da enorme rechtliche Probleme und brauchen überall Sondergenehmigungen. Mit laissez-faire hat das nichts zu tun. Die amerikanischen Regulierungen haben tw. sogar ideologische Gründe. Man befürchtete in der McCarthy-Era, dass urbane Gebiete ein Brutgebiet für sozialistische Versammlungen wären.
James Howard Kunstler hatte einige Sendungen zu diesem Thema:
http://kunstlercast.com/
Nein, ist kein Widerspruch. Weil Infrastruktur ohne Sozialisierung in der für weitere wirtschaftlichen Impulse benötigten Dichte in vielen Fällen gar nicht erst entstehen würde, weil es nur von grossen Gruppen gemeinsam zu schaffen ist. Ich bin daher für sozialisierte Vorfinanzierung von Infrastrukturprojekten, dann aber folgende Internalisierung der wahren Kosten und regelmässigen Review, ob sie sich gerechnet haben.
"Aber die Straßen sind Grundvoraussetzung für die Mobilität. Die Autos fahren überall dort, wo der Staat vorher die Straßen gebaut hat und nicht umgekehrt."
Ja, stimmt. Aber zur Zeit der Pferdekutschen waren nicht so sehr die schlechten Strassen das Hindernis ersten Ranges, sondern vor allem auch der Zeitaufwand. Ich fürchte, dass das Auto die Ökonomie des Transports völlig verändert hat - und habe damit auch kein grundsätzliches Problem. Das Problem entsteht durch den demokratischen Druck einer sich einmal mehrheitlich motorisiert habenden Gesellschaft, dem Einzelnen zu verunmöglichen, sich den Kosten der Motorisierung zu entziehen. Dadurch werden völlig falsche Anreize gesetzt und entstehen immense volkswirtschaftliche Nachteile, weil dann eine ökonomisch nicht sinnvolle Übermotorisierung eintritt - eine Entwicklung, die sich selbst positiv feedbackt.
Mit den USA kenn ich mich zu wenig aus! Vielleicht hast Du recht! Dann bleibt die Frage, was ganz ohne Raumplanung passiert aber vermutlich trotzdem nicht ganz offen... ich kann mir nicht vorstellen, dass es dafür nicht genügend internationale Beispiele gibt.
Kann es sein, dass du "privat" mit "individuell" gleichsetzt, bzw. Gemeinschaft mit Staat? Auch ein Verein, eine Genossenschaft, ein Investor, eine Betreibergesellschaft, die eine Siedlung und Infrastruktur-Anschluss bauen und betreiben würden, sind privat. Klar ist Straßenbau eine gemeinschaftliche Anstrengung. Die Frage ist, was als Gemeinschaft definiert wird und ob diese freiwillig zusammen gekommen ist.
Rückblickend hätte man die Menschen, die in einer zusammenhängenden Häusergruppe wohnen als Gemeinde definieren sollen und nicht ein weitreichendes Gebiet.
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Favelas und Slums sind beispiele für Siedlung ohne Raumplanung. Allerdings siedelt da freilich kein sozialer Querschnitt der Bevölkerung. Favelas verdichten sich, wenn sie nicht geschliffen werden, zu Stadtvierteln mit eher mittelalterlichem Layout, also enge, verwurschtelte Gassen.